Renate Erdt aus Leezdorf, pensionierte Lehrerin und an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen zertifizierte Fachberaterin für Selbstversorgung mit essbaren Wildpflanzen, schreibt in unserer neuen Rubrik "Wilder Tipp" Wissenswertes über essbare Pflanzen in der Natur. Die Rubrik soll in lockerer Folge erscheinen und startet mit dem
Scharbockskraut
Eigentlich gehört es zu den ersten Frühlingsboten, aber der warme Winter lässt es schon eher mutig die ersten Blättchen aus der Erde schieben: das Scharbockskraut, die erste Vitamin-C-Bombe im Frühjahr.
Noch im Mittelalter hielt man vielerorts den Scharbock für einen bösen Geist, der nach langen, kalten Wintern die Menschen befiel. Er ließ das Zahlfleisch bluten und faulen und die Zähne ausfallen. Die heilkundigen Mönche in den Klöstern und auch die Kräuterfrauen, sofern nicht als Hexen verfolgt, wussten: Dagegen ist ein Kraut gewachsen, das Scharbockskraut.
In der beginnenden Neuzeit wussten auch die Seefahrer auf ihren Entdeckungsreisen ein Lied davon durch ihre Zahnlücken zu pfeifen. Hatten sie Glück und ihre Reise begann im zeitigen Frühjahr, konnten sie noch für eine Weile ihrer langen Reise mit dem frischen Kraut versorgt werden.
Zeitweise hielt man die Erkrankung für ansteckend, weil sie so weit verbreitet war, aber dank der modernen Naturwissenschaften wissen wir heute: Der Scharbock, heute Skorbut genannt, tritt als Mangelerkrankung auf, wenn zu wenig unverzichtbares Vitamin C über die Nahrung aufgenommen wird.
Wer seinen Vitamin-C-Bedarf gern auf natürlichem Weg decken möchte, ist bei den essbaren Wildpflanzen richtig. Deren Vitamin-C-Gehalt ist häufig um ein Vielfaches höher als der von Kulturgemüse und Kulturobst.
Das Scharbockskraut macht im zeitigen Frühjahr – oder eben auch schon eher - den Anfang. Es schiebt seine runden bis herzförmigen Blättchen auf hellgrünen Stielchen aus der Erde oder auch durch eine Laubschicht. Die Blättchen sind fast glattrandig und glänzend dunkelgrün, meistens mit einer leichten, hell graugrünen Panaschierung. Die Blättchen enthalten neben Vitamin C auch Bitterstoffe, Gerbstoffe und Scharfstoffe, jedoch in geringem Umfang. Verwenden lassen sie sich gut als Salatbeigabe, in Kräuterkäse oder -soßen oder auch im Pesto.
Gesammelt werden die Blättchen zeitig, bevor die Blüte beginnt. Die Erntezeit beträgt nur wenige Wochen. Zu finden ist das Scharbockskraut an nährstoffreichen, feuchten Standorten im Halbschatten, wo es dichte, bodennahe Teppiche bildet. Besonders attraktiv sind neben den hübsch panaschierten und geformten Blättern später auch seine zahlreichen leuchtend gelben, fast sternförmigen Korbblütchen, mit denen es den Schatten erhellt.
Aber: Wenn die Blüte einsetzt, ist das Scharbockskraut nicht mehr genießbar! Es macht dann seiner Familie, den giftigen Hahnenfußgewächsen, alle Ehre und lagert in Windeseile unbekömmliche Alkaloide in seine Blätter ein.
Ab Mai ist vom Scharbockskraut meistens nichts mehr zu sehen. Es hat seine gesamte Vegetationsperiode durchlebt und versorgt uns erst im zeitigen Frühjahr des nächsten Jahres wieder mit Vitamin C.
Fotos: Renate Erdt
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