Renate Erdt aus Leezdorf ist zertifizierte Fachberaterin für essbare Wildpflanzen und bringt uns heute die heilsamen Seiten der in heimischen Gärten wohl bekanntesten und verbreitetsten Unkraut..., Verzeihung, Wildkrautstaude nahe. Im Plattdeutschen auch Hunnblööm genannt, lässt diese nährstoffreiche Heilpflanze viele Gärtner rasch zum Stecher greifen. Im Idealfall sollte man ihn danach verzehren, den
Löwenzahn
Folgt man den Ausführungen von Prof. Dr. Wolf-Dieter Storl, Anthropologe und Ethnobotaniker, so gibt es allein im deutschsprachigen Raum über 500 Namen für den Löwenzahn. Neben dem oft tief und scharf gezahnten Blatt, das ihm seine Hauptbezeichnung einbringt, deuten Namen wie Butterblume oder Kuhblume, was sich auf die besondere Farbe der Butter nach Genuss von Löwenzahn durch die milchgebende Kuh bezieht, auf die knallgelbe Blütenfarbe des Korbblütlers hin, der als einer der wenigen seiner Gattung nur Zungenblüten in seinem Körbchen beherbergt. Der Name Pusteblume beschreibt die Freude der Kinder – oder auch Erwachsenen – die einem fertig entwickelten Samenstand die leicht löslichen Fallschirmchen mit einem kräftigen Atemhauch vom Blütenboden wegpusten; anhand der verbliebenen Samenschirmchen kann danach trefflich orakelt werden.
Bezeichnungen wie Bettseicherli oder Brunzblume weisen nicht auf seine Blütenfarbe, Blattform oder Samenstände hin, sondern auf seine harntreibende Wirkung. Dies klingt beim französischen pissenlit natürlich viel charmanter. Unter anderem seine harntreibende Wirkung hat ihm den botanischen Namen Taraxacum officinale beschert, wobei der Artname officinale verdeutlicht, dass er eine anerkannte Heilpflanze ist und im medizinischen Arzneibuch geführt wird. Dafür ist aber nicht nur seine harntreibende Wirkung verantwortlich, sondern vor allem seine verdauungsfördernde Eigenschaft, die seine Bitterstoffe verursachen. Diese führen zu vermehrter Ausscheidung von Speichel, Magensaft und Gallenflüssigkeit, womit jegliche Verdauungsaktivität für den Körper gefördert wird.
Wer sich diese beiden phytotherapeutischen Eigenschaften zunutze machen will, hat dazu über die gesamte Vegetationsperiode hinweg Zeit, denn die Blätter stehen immer zur Verfügung, ebenso die Wurzeln. Wer sich eine radikale Frühjahrskur zutraut, kann es mit einer sogenannten Stängelkur tun. Diese dauert 23 Tage und erfordert gründliches Kauen. Am ersten Tag isst man einen Blütenstängel, ruhig mit Blüte, sofern diese nicht bereits von feinschmeckenden Insekten okkupiert ist. Am zweiten Tag ist man zwei Stängel, am dritten Tag drei usw.. Der zwölfte Tag ist der Wendetag. Nach dem Genuss von zwölf Blütenstängeln geht es dann noch elf Tage lang rückwärts weiter, bis man am letzten Tag wieder bei einem Blütenstängel angekommen ist. Sicher lässt sich die Kur auch verkürzt darstellen. Meine eigenen Versuche dauerten…, aber lassen wir das.
Neben Bitterstoffen enthält der Löwenzahn noch einiges, was in unserer Ernährung unerlässlich ist: Flavonoide und Schleimstoffe, die Mineralstoffe Kalium, Magnesium und Phosphor sowie die Vitamine A, C und D. Besonders den Vitamin-A-Gehalt hebt Prof. Storl hervor. Er beziffert diesen auf vierzig (40!) mal so hoch wie beispielsweise im Supermarkt Eisbergsalat. Damit ist der Löwenzahn auch noch ein echter Augenschmeichler.
Der Verwendung des Löwenzahns in der Küche sind kaum Grenzen gesetzt. Die Blätter sind schmackhaft als Salatbeigabe, als Gemüse, in der Suppe, in Kräuterquark, Kräuterbutter oder Kräutersalz. Die Blütenknospen eignen sich zum Einlegen wie Kapern, aber z.B. auch für Chutneys. Die Blüten sind eine essbare Dekoration oder können zu Blütenhonig oder gar Blütenwein verarbeitet werden. Auch die Wurzeln haben es in sich: Gewaschen, getrocknet, geröstet und gemahlen gelten sie als koffeinfreie Alternative zum Kaffee. Wem die Bitterstoffe, insbesondere nach der Blüte, zu dominant sind, kann sie abmildern. Dazu wird der Löwenzahn mundgerecht geschnitten und etwa eine Stunde in leicht gesalzenes Wasser gelegt. Wenn man sich im Laufe der Vegetationsperiode an den Genuss von
Bitterstoffen gewöhnt hat, möchte man diese nicht mehr missen. Für die löwenzahnarme Zeit des Winters braucht es eine Alternative: Vielleicht Bitterschokolade?
Seit dem Mittelalter ist der Löwenzahn Bestandteil der Grünen Neune, einer Kräutersuppe aus neun frischen Kräutern, die mit Beginn der Vegetation den frühjahrsmüden Menschen die über Winter aufgebrauchten Nährstoffspeicher in komprimierter Form wieder auffüllen
sollte. Im Zusammenspiel mit anderen Wildkräutern, besonders seinen Kumpels vom wilden Trio, Brennnessel und Giersch, fügt er immer seine typische Note und seine wohltuende Wirkung hinzu.
Mit seinen meist stark gezahnten Blättern, die in einer Blattrosette am Boden liegen oder auch in der Rosette stehen, seinen leuchtend gelben Blüten und den samenhaltenden Pusteblumen ist der Löwenzahn unverwechselbar. Manchmal kommen die namengebenden Blätter aber auch mit weniger Raubtierwirkung daher und sind nur gebuchtet. Je nach Standort werden die Blätter hell- bis dunkelgrün. Die mittlere Blattachse kann weiß durchscheinen oder auch rot. Der in der Blattachse und auch im Blütenstängel enthaltene Milchsaft soll Warzen austrocknen, wenn man ihn einige Tage lang auf diese tupft. Die leuchtend gelben Blüten sind nur im Frühjahr und noch einmal kurz im Herbst zu sehen, denn der Löwenzahn praktiziert eine sogenannte Kurztagsblüte. Wenn die Sonneneinstrahlung – so sich die Sonne hier auch einmal für längere Zeit sehen lässt – mehr als zwölf Stunden dauert, endet die Blütezeit; die Samen reifen aus zum Pusteblumenstatus. Wer also die oben beschriebene Stängelkur machen möchte, solle bei Blühbeginn damit anfangen.
Der Löwenzahn ist eine echte Bereicherung für den Speiseplan und unsere Gesundheit. Um abschließend ein drittes Mal auf Prof. Storl zurückzukommen: Er empfiehlt, den Löwenzahn nicht als Feind anzusehen, den man mit allerlei Gartenwerkzeug attackiert, sondern … als Freund!
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