Dienstag, 2. April 2024

Wilder Tipp (4)

 


Renate Erdt aus Leezdorf ist zertifizierte Fachberaterin für essbare Wildpflanzen und bringt uns heute die heilsamen Seiten der in heimischen Gärten wohl bekanntesten und verbreitetsten  Unkraut..., Verzeihung, Wildkrautstaude nahe. Im Plattdeutschen auch Hunnblööm genannt, lässt diese nährstoffreiche Heilpflanze viele Gärtner rasch zum Stecher greifen. Im Idealfall sollte man ihn danach verzehren, den 

Löwenzahn 

Folgt man den Ausführungen von Prof. Dr. Wolf-Dieter Storl, Anthropologe und  Ethnobotaniker, so gibt es allein im deutschsprachigen Raum über 500 Namen für den  Löwenzahn. Neben dem oft tief und scharf gezahnten Blatt, das ihm seine  Hauptbezeichnung einbringt, deuten Namen wie Butterblume oder Kuhblume, was sich auf  die besondere Farbe der Butter nach Genuss von Löwenzahn durch die milchgebende Kuh  bezieht, auf die knallgelbe Blütenfarbe des Korbblütlers hin, der als einer der wenigen  seiner Gattung nur Zungenblüten in seinem Körbchen beherbergt. Der Name Pusteblume  beschreibt die Freude der Kinder – oder auch Erwachsenen – die einem fertig entwickelten  Samenstand die leicht löslichen Fallschirmchen mit einem kräftigen Atemhauch vom  Blütenboden wegpusten; anhand der verbliebenen Samenschirmchen kann danach trefflich  orakelt werden.  

Bezeichnungen wie Bettseicherli oder Brunzblume weisen nicht auf seine Blütenfarbe,  Blattform oder Samenstände hin, sondern auf seine harntreibende Wirkung. Dies klingt  beim französischen pissenlit natürlich viel charmanter. Unter anderem seine harntreibende  Wirkung hat ihm den botanischen Namen Taraxacum officinale beschert, wobei der  Artname officinale verdeutlicht, dass er eine anerkannte Heilpflanze ist und im  medizinischen Arzneibuch geführt wird. Dafür ist aber nicht nur seine harntreibende  Wirkung verantwortlich, sondern vor allem seine verdauungsfördernde Eigenschaft, die  seine Bitterstoffe verursachen. Diese führen zu vermehrter Ausscheidung von Speichel,  Magensaft und Gallenflüssigkeit, womit jegliche Verdauungsaktivität für den Körper gefördert wird. 

Wer sich diese beiden phytotherapeutischen Eigenschaften zunutze machen will, hat dazu  über die gesamte Vegetationsperiode hinweg Zeit, denn die Blätter stehen immer zur  Verfügung, ebenso die Wurzeln. Wer sich eine radikale Frühjahrskur zutraut, kann es mit  einer sogenannten Stängelkur tun. Diese dauert 23 Tage und erfordert gründliches Kauen. Am ersten Tag isst man einen Blütenstängel, ruhig mit Blüte, sofern diese nicht bereits von feinschmeckenden Insekten okkupiert ist. Am zweiten Tag ist man zwei Stängel, am dritten Tag drei usw.. Der zwölfte Tag ist der Wendetag. Nach dem Genuss von zwölf  Blütenstängeln geht es dann noch elf Tage lang rückwärts weiter, bis man am letzten Tag  wieder bei einem Blütenstängel angekommen ist. Sicher lässt sich die Kur auch verkürzt darstellen. Meine eigenen Versuche dauerten…, aber lassen wir das. 

Neben Bitterstoffen enthält der Löwenzahn noch einiges, was in unserer Ernährung  unerlässlich ist: Flavonoide und Schleimstoffe, die Mineralstoffe Kalium, Magnesium und  Phosphor sowie die Vitamine A, C und D. Besonders den Vitamin-A-Gehalt hebt Prof. Storl hervor. Er beziffert diesen auf vierzig (40!) mal so hoch wie beispielsweise im Supermarkt Eisbergsalat. Damit ist der Löwenzahn auch noch ein echter Augenschmeichler. 

Der Verwendung des Löwenzahns in der Küche sind kaum Grenzen gesetzt. Die Blätter sind schmackhaft als Salatbeigabe, als Gemüse, in der Suppe, in Kräuterquark, Kräuterbutter  oder Kräutersalz. Die Blütenknospen eignen sich zum Einlegen wie Kapern, aber z.B. auch für Chutneys. Die Blüten sind eine essbare Dekoration oder können zu Blütenhonig oder gar Blütenwein verarbeitet werden. Auch die Wurzeln haben es in sich: Gewaschen,  getrocknet, geröstet und gemahlen gelten sie als koffeinfreie Alternative zum Kaffee. Wem  die Bitterstoffe, insbesondere nach der Blüte, zu dominant sind, kann sie abmildern. Dazu  wird der Löwenzahn mundgerecht geschnitten und etwa eine Stunde in leicht gesalzenes Wasser gelegt. Wenn man sich im Laufe der Vegetationsperiode an den Genuss von 

Bitterstoffen gewöhnt hat, möchte man diese nicht mehr missen. Für die löwenzahnarme  Zeit des Winters braucht es eine Alternative: Vielleicht Bitterschokolade? 

Seit dem Mittelalter ist der Löwenzahn Bestandteil der Grünen Neune, einer Kräutersuppe aus neun frischen Kräutern, die mit Beginn der Vegetation den frühjahrsmüden Menschen die über Winter aufgebrauchten Nährstoffspeicher in komprimierter Form wieder auffüllen 

sollte. Im Zusammenspiel mit anderen Wildkräutern, besonders seinen Kumpels vom wilden Trio, Brennnessel und Giersch, fügt er immer seine typische Note und seine wohltuende  Wirkung hinzu. 

Mit seinen meist stark gezahnten Blättern, die in einer Blattrosette am Boden liegen oder  auch in der Rosette stehen, seinen leuchtend gelben Blüten und den samenhaltenden  Pusteblumen ist der Löwenzahn unverwechselbar. Manchmal kommen die namengebenden  Blätter aber auch mit weniger Raubtierwirkung daher und sind nur gebuchtet. Je nach  Standort werden die Blätter hell- bis dunkelgrün. Die mittlere Blattachse kann weiß  durchscheinen oder auch rot. Der in der Blattachse und auch im Blütenstängel enthaltene  Milchsaft soll Warzen austrocknen, wenn man ihn einige Tage lang auf diese tupft. Die  leuchtend gelben Blüten sind nur im Frühjahr und noch einmal kurz im Herbst zu sehen,  denn der Löwenzahn praktiziert eine sogenannte Kurztagsblüte. Wenn die  Sonneneinstrahlung – so sich die Sonne hier auch einmal für längere Zeit sehen lässt – mehr  als zwölf Stunden dauert, endet die Blütezeit; die Samen reifen aus zum Pusteblumenstatus. Wer also die oben beschriebene Stängelkur machen möchte, solle bei  Blühbeginn damit anfangen.  



Der Löwenzahn ist eine echte Bereicherung für den Speiseplan und unsere Gesundheit. Um  abschließend ein drittes Mal auf Prof. Storl zurückzukommen: Er empfiehlt, den Löwenzahn  nicht als Feind anzusehen, den man mit allerlei Gartenwerkzeug attackiert, sondern … als  Freund!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen